Physikstudenten lernen schon im 1. Semester: Wenn man sich in komplexen Systemen zurechtfinden will, muß man sich an die Invarianten halten. Für die Reformatoren war eine dieser Invarianten das unvergängliche Wort Gottes:
VERBVM DOMINI MANET IN ÆTERNVM
Als ich mich vor Jahren an die Aufgabe wagte, möglichst alle Münzen und Medaillen zu dokumentieren, die das Motto enthielten, ahnte ich nicht, wie häufig das Motto tatsächlich vorkommt. Gelegentlich fiel mir dieser Spruch auch außerhalb der Numismatik (z.B. als Hausinschrift) auf. Da ich diese Zufallsfunde den Lesern meiner Arbeit nicht vorenthalten wollte, dokumetierte ich auch diese und suchte systematisch nach weiteren Vorkommen.
Besonders beschäftigte mich die Frage Wer/Wann/Warum hat dieses
Motto eingeführt?. "Wer" und "Warum" war bald geklärt und
die Frage "Wann" schien mit: Frühjahr 1522 auch eindeutig geklärt.
Daher war die Arbeit im Sommer 2001 fast abgeschlossen, als ich einen Hinweis
auf die Verwendeung des Mottos auf einem Bucheinband von 1520 fand.
Daraufhin beschäftigte ich mich mit Einbandkunde. (Bis dahein
hatte ich keinen einzigen Einbandstempel in meiner Materialsammlung). Nach
ausführlichen Recherchen gelangte ich zu der Überzeugung, daß
die Datierung: 1520 falsch sein müsse. Mein Hauptargument: Die Bezeichnung
"ECCLESIASTES" für Luther kommt sonst erst ab 1522 vor. Anfang Mai
2002 fand ich die Widerlegung dieses Arguments. Auch eine Luthermedaille
von 1520 verwendet diese Bezeichnung.
In der Woche, als ich das Erstvorkommen des Mottos von 1522 auf 1520
verschoben hatte, fand ich in einer Veröffentlichung von 1886 eine
Hinweis auf eine Glocke in Ehrenfriedersdorf, die das Motto schon 1519
verwendete. Ein Anruf beim dortigen Pfarramt bestätigte: Diese Glocke
von 1519 existiert heute noch. Es gibt eine Festschrift von 1993 über
die Glocken der Stadtkirche von Ehrenfriedersdorf, in der ein ganzes Kapitel
dieser Glocke gewidmet ist. Ein so frühes Vorkommen, so weit
weg von Wittenberg widersprach all meinen bisherigen Erkenntnissen. Erneutes
(vermutlich monatelanges) Quellenstudium war notwendig, um neue Erklärungen
zu finden. Doch zuerst wollte ich die Glocke selbst in Augenschein nehmen.
Ergebnis: Die Glocke war nicht von 1519, sondern von 1569. Obwohl die Glocke
kriegsbedingt abgenommen wurde, und die Jahreszahl gut lesbar ist, wurde
die falsche Jahreszahl über mehr als ein Jahrhundert tradiert.
<Dies
könnte ein interessanter Hinweis sein, für alle, die sich mit
der Zuverlässigkeit von Traditionen beschäftigen>.
Ich danke meiner Frau und meinen Kindern, die nicht nur jahrelang erduldeten, daß ich viele Abende vor dem Computer zubrachte, sondern auch viele Fahrten und Kirchenbesuche auf der Suche nach dem Motto mitmachten.
Aichig 2. Juli 2002.
Peter Kohler